Mehr als Regeln: Warum Unternehmenskultur für wirksame Governance entscheidend ist

Die Relevanz von Unternehmenskultur für Finanzintermediäre

 

Für Finanzintermediäre ist eine starke und wertebasierte Unternehmenskultur von zentraler Bedeutung. Sie bildet das Fundament für ein effektives Risikomanagement und trägt massgeblich zur Stabilität des Finanzsystems bei. Schwächen in der Unternehmenskultur – insbesondere in der Risikokultur – wurden als eine der Hauptursachen für die Finanzkrise 2008[1] und den Zusammenbruch der Credit Suisse[2] identifiziert.

 

Eine ausgeprägte Unternehmenskultur fördert Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Integrität – Werte, die nicht nur die Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden erleichtern[3], sondern auch das Vertrauen von Mitarbeitenden, Kunden und Investoren stärken. Institute, die konsequent nach ihren Werten handeln, gewinnen an Glaubwürdigkeit und schaffen eine solide Vertrauensbasis. Darüber hinaus ermöglicht eine offene Unternehmenskultur, regulatorische Veränderungen frühzeitig zu erkennen und proaktiv darauf zu reagieren[3]. Sie motiviert Mitarbeitende, sich aktiv mit neuen Anforderungen auseinanderzusetzen und fördert so eine kontinuierliche Anpassungsfähigkeit.

 

Damit wird die Unternehmenskultur zu einem entscheidenden Element der bankinternen Governance und zum Schlüsselfaktor für nachhaltigen Erfolg. Governance-Strukturen entfalten ihre volle Wirkung erst dann, wenn sie von einer starken Kultur getragen werden, die verantwortungsvolles Handeln und die Einhaltung von Regeln im Alltag verankert. Dies führt zu einer höheren Resilienz gegenüber externen Schocks, einer verbesserten Reputation im Markt und letztlich zu einer nachhaltigen Wertschöpfung für alle Stakeholder[4].

 

Was ist Corporate Culture?

 

Die Unternehmenskultur – oder «Corporate Culture» – lässt sich als ein Set expliziter und impliziter Regeln, Werte und Verhaltensnormen beschreiben, die das tägliche Handeln aller Mitarbeitenden prägen[5]. Ein ehemaliger Vorsitzender der US-Notenbank FED veranschaulichte dies treffend: «Culture is like a gentle breeze. You cannot see it, but you can feel it»[6]. Die G30 definiert Unternehmenskultur als den Mechanismus, der Werte und Verhaltensweisen vermittelt, das Verhalten steuert und das Vertrauen sowie die Reputation einer Bank bei allen Stakeholdern fördert[7].

 

Kultur umfasst dabei nicht nur Werte und Ethik, sondern auch Aspekte wie Integrität, geistige Unabhängigkeit, Respekt, Transparenz und den Mut zur eigenen Meinung. Sie motiviert Mitarbeitende dazu, das Richtige zu tun – auch dann, wenn niemand zusieht[8]. Die ethische Dimension unterscheidet dabei reine „Banking Governance“ von „Good Banking Governance“[9]: Letztere basiert auf einem werteorientierten, verantwortungsvollen Ansatz, der über die blosse Einhaltung von Gesetzen hinausgeht.

 

Dabei gilt es festzuhalten, dass jede Unternehmenskultur einzigartig ist und nicht pauschal als gut oder schlecht bewertet werden kann. Entscheidend ist, dass sie zur jeweiligen Organisation passt und deren Ziele unterstützt[10].

 

Risikokultur und Herausforderungen in der Praxis

 

Die Risikokultur ist ein zentraler Bestandteil der Unternehmenskultur und prägt massgeblich die täglichen Risikoentscheidungen im Unternehmen. Ein effektives Risikomanagement setzt einen klaren «Tone from the Top» durch den Vorstand voraus[11], doch auch das mittlere Management trägt entscheidend dazu bei, die Werte und Verhaltensweisen in die Organisation zu tragen und zu verankern[12]. Eine gesunde Risikokultur lebt von offener Kommunikation, Transparenz und einer ausgeprägten Lernbereitschaft. Fehler werden nicht tabuisiert, sondern als Chancen zur Weiterentwicklung genutzt – erfolgreiche Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus Fehlern lernen und ihre Prozesse kontinuierlich verbessern[13]. Zudem sehen die G30 in der Weiterentwicklung des Systems der drei «Lines of Defence» eine wertvolle Möglichkeit, die Risikokultur im Unternehmen weiter zu stärken. Besonders die erste «Line of Defence» kann durch die Übernahme einer aktiven Rolle und die Anwendung guter Risikomanagementpraktiken wesentlich dazu beitragen, eine nachhaltige und lernorientierte Risikokultur zu etablieren[14].

 

Die Etablierung und Pflege einer starken Unternehmenskultur stellt Finanzintermediäre jedoch vor besondere Herausforderungen. Da Kultur schwer messbar ist und sich nicht durch einfache Kennzahlen abbilden lässt, gestaltet sich ihre operative Umsetzung oft komplex[15]. Ein vielversprechender Ansatz ist die Verankerung eines «Higher Purpose» – eines übergeordneten gesellschaftlichen Ziels, das über wirtschaftliche Interessen hinausgeht und mit dem Unternehmenszweck im Einklang steht[16]. Er motiviert Mitarbeitende, schafft Identifikation und differenziert das Unternehmen im Markt. So wird der Purpose zum Kompass für zukunftsorientiertes Handeln, kann Reputation und Vertrauen nachhaltig stärken und die Resilienz des Instituts erhöhen[17].

 

Fazit

 

Eine starke Unternehmenskultur ist kein blosses Stimmungsbild, sondern der zentrale Impulsgeber, der effektive Governance, verantwortungsvolles Risikomanagement und langfristigen Erfolg im Finanzsektor ermöglicht. Gerade in einem Umfeld stetig wachsender regulatorischer Anforderungen und komplexer Märkte entscheidet die gelebte Kultur darüber, ob ein Institut agil, vertrauenswürdig und resilient bleibt. Sie schafft ein Klima, in dem Mitarbeitende Verantwortung übernehmen, Risiken offen adressiert werden und kontinuierliches Lernen möglich ist.

 

Wer Unternehmenskultur als strategischen Erfolgsfaktor versteht und gezielt entwickelt, stärkt die Widerstandsfähigkeit seines Instituts und positioniert sich nachhaltig erfolgreich im Markt. Die Qualität der Unternehmenskultur entscheidet heute mehr denn je über die Zukunftsfähigkeit von Finanzintermediären. Sie bildet das Rückgrat einer verantwortungsvollen Unternehmensführung und ermöglicht es, Herausforderungen flexibel und vorausschauend zu begegnen. Wo Werte wie Offenheit, Verantwortungsbewusstsein und Sinnorientierung gelebt werden, entstehen Vertrauen und Glaubwürdigkeit – sowohl intern als auch extern.

 

 

 

Hinweis: Die Inhalte dieses News-Beitrags basieren auf einer prämierten Masterarbeit.

 

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[1] FSB, Guidance on Supervisory Interaction with Financial Institutions on Risk Culture, A Framework for Assessing Risk Culture, 7. April 2014, S. 1.
[2] FINMA, Bericht der FINMA, Lessons Learned aus der CS-Krise, Bern, 19. Dezember 2023, S. 46-48.
[3] LOMBARDINI Carlo, Comité d’audit et comité des risques dans le domaine bancaire, in: KNÜSEL David-André (édit.), Développements récents en droit commercial VI, Collection lausannoise CEDIDAC, Volume 102, Lausanne, 2018, S. 107.
[4] G30, Toward Effective Governance of Financial Institutions, 2012, S. 15 und 25.
[5] THAKOR Anjan, Post-Crisis Corporate Culture and Governance in Banking, ECGI, 2020, Law Working Paper Nummer 658/2020, S. 3.
[6] DUDLEY William, “Enhancing Financial Stability by Improving Culture in the Financial Services Industry”, erteilte Bemerkungen an die Federal Reserve Bank of New York’s Workshop on Reforming Culture and Behavior in the Financial Services Industry, 20. Oktober 2014.
[7] G30, Banking conduct and culture, A permanent mindset change, November 2018, S. 1.
[8] G30, Toward Effective Governance of Financial Institutions, 2012, S. 15 und 25.
[9] KERN Alexander, Bank Boards, Risk Culture and Sustainability, NICG 2022/2, 2022, S. 16.
[10] G30, Banking conduct and culture, A permanent mindset change, November 2018, S. 2.
[11] FINMA, Rundschreiben 2017/1, Ziff. 10.
[12] FSB, Guidance on Supervisory Interaction with Financial Institutions on Risk Culture, A Framework for Assessing Risk Culture, 7. April 2014, S. 6 und G30, Banking conduct and culture, A permanent mindset change, November 2018, S. 41.
[13] LOMBARDINI Carlo, Le difficile rôle du conseil d’administration d’une banque, 4. März 2024, verfügbar unter: https://www.letemps.ch/opinions/chroniques/le-difficile-role-du-conseil-d-administration, Absatz 10.
[14] G30, Banking conduct and culture, A permanent mindset change, November 2018, S. xii.
[15] RUBAL HOYER Cindy, Les valeurs et la culture dans le système de gouvernance bancaire, RB, Juli-August 2020, Nummer 846, S. 64.
[16] THAKOR Anjan, Post-Crisis Corporate Culture and Governance in Banking, ECGI, 2020, Law Working Paper Nummer 658/2020, S. 7-8.
[17] THAKOR Anjan, Post-Crisis Corporate Culture and Governance in Banking, ECGI, 2020, Law Working Paper Nummer 658/2020, S. 8 und die Grafik auf G30, Banking conduct and culture, A permanent mindset change, November 2018, S. 2.

10.06.2025